Predigttext bei Jesaja im 55. Kapitel:

Sucht den Herrn, solange er zu finden ist; ruft ihn an, solange er nahe ist.
Der Gottlose lasse von seinem Weg und der Übeltäter von seinen Gedanken
und bekehre sich zum Herrn, so wird er sich seiner erbarmen,
und zu unserem Gott, denn bei ihm ist viel Vergebung.
Meine Gedanken sind nicht eure Gedanken, und eure Wege sind nicht meine Wege, spricht der Herr, sondern soviel der Himmel höher ist als die Erde,
so sind auch meine Wege höher als eure Wege und meine Gedanken als eure Gedanken.
Gleichwie der Regen und Schnee vom Himmel fällt und nicht wieder dahin zurückkehrt,
sondern feuchtet die Erde an und macht sie fruchtbar und lässt wachsen,
damit sie gibt Samen zu säen und Brot zu essen,
so soll das Wort, das aus meinem Munde geht, auch sein:
Es wird nicht wieder leer zu mir zurückkommen, sondern wird tun, was mir gefällt,
und ihm wird gelingen, wozu ich es sende.
Denn ihr sollt in Freuden ausziehen und im Frieden geleitet werden. Amen.


Liebe Gemeinde,

4 Stichworte:
Jahrestage – Zu verstehen suchen – Umkehren – In Frieden ziehen –
unter diesen Stichworten möchte ich mit ihnen den Jesajatext bedenken.

1) Jahrestage

Die Zerstörung dieser wunderbaren Stadt Dresden am 13. und 14. Februar 1945 jährt sich zum 78. Mal. Noch immer leben Menschen unter uns, die davon erzählen können. Von den fallenden Bomben und den damit verbundenen Geräuschen des Krachens und Berstens,
von den vorher erschienenen sogenannten „Christbäumen“, die die Nacht gespenstisch erhellten, von der Flucht in die Keller oder aufs Land,
von verletzten und getöteten Angehörigen,
vom großen Brand in der Stadt und der Trümmerwüste danach
und wie zuletzt auch noch die Frauenkirche fiel.
„Wie liegt die Stadt so wüst“ – diese Motette, die sich an den Klageliedern Jeremias orientiert, komponierte Rudolf Mauersberger voller Schmerz über unermessliches Leid und Zerstörung. Am 4. August 1945 wurde sie in der ersten Vesper des Dresdner Kreuzchores nach dem Krieg in der ausgebrannten Kreuzkirche uraufgeführt.
Konkret und zugleich exemplarisch führt uns die Zerstörung Dresdens den Irrsinn von Kriegen vor Augen. Noch fast 80 Jahre später ist nicht völlig überwunden, was damals alles zerstört wurde. Noch immer rufen Fotos vom „alten Dresden“ tiefe Sehnsucht hervor; noch immer steigt Trauer auf beim Gedenken an verlorene Eltern, Liebste und Angehörige.

Jahrestage. In 12 Tagen jährt sich nun auch der Überfall Russlands auf die Ukraine.
Und das dadurch ausgelöste und anhaltende Erschrecken über einen uns so nah gekommen Krieg. Seitdem bestimmt Kriegsberichtserstattung die Medien; Bilder von zerstörten Städten, von fliehenden Menschen, von Verletzten und immer neuen Kämpfen, die wir manchmal schon gar nicht mehr sehen können.

Immer mehr Tote, Geflohene, Ruinen – und kein Ende ist abzusehen. Bis dahin für viele unvorstellbar, wurde ein Krieg mit Panzern und Raketen mitten in Europa Wirklichkeit. Seitdem greift leider auch neues Freund-Feind-Denken um sich, eine neue militärische Sprache,
eine neue Selbstverständlichkeit, in den Kategorien von Waffengattungen zu denken und damit Frieden herstellen zu wollen. Ein gewaltiges Aufrüstungsprogramm über 100 Milliarden Euro wurde verabschiedet. Seitdem lodern heftige Debatten um den richtigen Weg zum Frieden. Und nach wie vor bleiben viele Fragen offen.

2) Wann wird man je versteh’n? (Pete Seeger 1955)

Sag, wo die Soldaten sind, Wo sind sie geblieben? Sag, wo die Soldaten sind, Was ist gescheh’n?
Sag, wo die Soldaten sind, Über Gräbern weht der Wind.
Wann wird man je versteh′n?, Wann wird man je versteh’n?

Kaum jemand weiß, dass Pete Seeger dafür eine alte slawische Vorlage verwendete.
„Koloda duda“. Drei Verse davon hatte er als Zitat in dem Roman „Der stille Don“ von Michail Scholochow entdeckt. Später sprach er mal von den ukrainischen und dann wieder von den russischen Wurzeln seines Songs. „Koloda Duda“ wurde sowohl in der Ukraine als auch in Russland gesungen und ist kosakischer Herkunft.
„Wann wird man je verstehn?“ Wir stehen vor so vielem ratlos. Warum bei allem technischem Fortschritt, den die Menschheit errungen hat, wir immer noch nicht fähig geworden sind, friedlich miteinander zu leben: auch nach 1990 begannen neue Kriege – in Jugoslawien und im Irak, in Syrien und nun in der Ukraine…

Unser Predigttext versucht zu begreifen.
Nach der Zerstörung Jerusalems und der Deportation eines Großteils der Bevölkerung 587 v. Chr. standen die Menschen lange Zeit unter Schock. Ihre Gewissheit war dahin, am Ort des Tempels geborgen zu sein. Also dort, wo doch vermeintlich Gott wohnte. Eine traumatische Erfahrung für jeden einzelnen Menschen damals, aber ebenso für das Selbstverständnis als Gottesvolk. Man war sich so sicher gewesen, hatte Gott zwar oft im Munde geführt, aber zu selten versucht, nach Gottes Wort und Gebot zu leben.
Jesajas Text entstand etwa 60 Jahre nach der Katastrophe. Er reflektiert das Geschehene. Und enthält eine Ahnung, dass Gott doch anders ist als der, der vor eigene Wünsche gespannt und in die eigenen Waffensysteme eingeritzt wird.

Meine Gedanken sind nicht eure Gedanken, und eure Wege sind nicht meine Wege, spricht der Herr, sondern soviel der Himmel höher ist als die Erde, so sind auch meine Wege höher als eure Wege und meine Gedanken als eure Gedanken.

3) Umkehren

Was sind denn Gottes Gedanken?
Finden wir etwas in diesem Text, der im Abstand von einem reichlichen Jahrhundert entstand?

Sucht den Herrn, solange er zu finden ist; ruft ihn an, solange er nahe ist.
Der Gottlose lasse von seinem Weg und der Übeltäter von seinen Gedanken
und bekehre sich zum Herrn, so wird er sich seiner erbarmen,
und zu unserem Gott, denn bei ihm ist viel Vergebung.
Hier spricht einer, der viele menschliche Irrwege und Schuld und Leid miterlebte.
Der sah, wohin es führt, sich über Gott und andere Menschen zu erheben.
Jesja ermutigt, neu nach Gott zu suchen. Nicht nach dem gefälligen, lieben, den man zu kennen meint und vor den eigenen Karren spannt, vor die eigene Nation, die eigenen Machtwünsche, die eigenen Waffen. Sondern nach dem, der herausfordert, der unsere Machtspiele nicht mitspielt, der mit den eigenen Verfehlungen konfrontiert, der sich nicht spotten lässt.

1944 im Osterzgebirge: Es war mitten im Krieg und ein heftiger Sturm tobte – mein Großvater – sein Gang in die Kirche – der Sturm hatte die Bibel umgeblättert – „Ihr sollt erfahren, dass ich der Herr bin!“ Sein Blick wurde gefangen „Ihr sollt erfahren, dass ich der Herr bin, denn ihr seid nicht nach meinen Geboten gewandelt und habt meine Ordnungen nicht gehalten… !“ Hes. 11,12
Das bewegte ihn zutiefst. Mit Blick auf sein Volk und Land, dass sich selbst zum Gott erhoben hatte: die eigene Nation und sogenannte Rasse, sich selbst als das wertvollste der Völker betrachtend, dem besonderer Raum und besondere Ehre zustehen würde, dass sich ein tausendjähriges Reich aufbauen wollte. –
Zufall? Für meinen Großvater wurde der Bibelvers in diesem Moment zu Gottes Wort.

„Wendet euch wieder Gott zu“, fordert Jesaja auf. Er wird sich euch als unerwartet anders und doch gnädig erweisen. Gleichwie der Regen und Schnee vom Himmel fällt, dort Frucht für Brot schafft, aber nicht leer zurückkehrt… So soll das Wort, das aus meinem Munde geht, auch sein: Es wird nicht wieder leer zu mir zurückkommen, sondern wird tun, was mir gefällt, und ihm wird gelingen, wozu ich es sende.
Ein für alle verständliches Bild: Regen befeuchtet den Samen, damit daraus Brot werden kann. Letztlich hat Gott das Leben zum Ziel. Gottes Worte wollen uns zum seelischen Brot werden. Und bieten uns mit den Geboten klare hilfreiche Regeln für unser Zusammenleben an. Bleiben wir dran – stärken wir uns weiterhin an dieser Nahrung – auch inmitten von Tod und Leid.

4) In Frieden ziehen

Denn ihr sollt in Freuden ausziehen und im Frieden geleitet werden.

Damit schließt unser Text.
Hier wird die Zielrichtung des göttlichen Handelns beschrieben. Damals sah Jesaja die Rückkehr in die ferne Heimat am Horizont vor sich.
Dieser Zuspruch gilt auch uns: Nach 1945 versuchten viele zu verstehen, was da eigentlich geschehen war. Einige bekannten ihre Schuld, wie z.B. bei der Stuttgarter Schulderklärung der Kirchen im Oktober 45. Und manche wagten Wege der Versöhnung hin zu den Nachbarvölkern (später auch hier in der Hosterwitzer Nagelkreuzarbeit). Darauf liegt Segen.

Und in diesem Februar 2023? Inmitten von Kriegsrhetorik und immer neuen Waffengängen?

Der Frieden braucht tägliches Mühen und ist zugleich Gottes Geschenk:
in Freude ausziehen und im Frieden geleitet werden.
Amen